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Rundgänge

Rundgang Weiße Hyäne im Atelier

Der kranke Heine starrt auf die Gegensprechan­lage. Eiger, Eiger, Eiger.

Preußen ohne Preußisch Blau. Baumeister: Kommt mir nicht auf die Palet­te.
Und rechter Winkel geht gar nicht. Aber das Bauhaus und diese praktischen Böcke.

Soll denn das Bild nicht rechtwinkelig sein? Wenn ja, darf man sich darauf beziehen?
Muss man? Nein? Ist die Bildmitte etwas Besonderes? Die Ecken sind wichtiger?
Gleich wichtig? Alles egal? Die große Leere. Egal? Nimm' Klebestreifen. Soft Engi­neering. Van Eyck malt (!) eine Skizze während Cezanne seine Äpfel in einem Plastikbeutel
ins Atelier trägt und Jünger in einer Blüte die Glo­balität beobachtet.
Da ist mir Ponge mit seinen kleinen Dingen lieb. Maikäfer flieg.

Noch einmal das Meer sehen und ein ein­faches Leben führen. Tu' ich ja.
Die Grand Tour d’Atelier. Adé Corbusiers LC2, adé Grays E.1027.

Spanplattenhorizonte. Das ist romantisch.Dieses Albtraumfutter. Diese grauenhafte Farbe. Stört mich nicht. Grünes Gras braun malen? Geht doch. Egal? Alles egal? Anything goes. Ganz und gar nicht. Das schablonierte Sehen wird's schon richten.
Ein Frosch erkennt Vorbeifliegendes nur dann, wenn es eine bestimmte Form hat.
Sehen Sie.
Welche Farben hat die Farbe? Schlemihls Vase wirft keinen Schatten.

Aber da ist doch Farbe. In der Malerei gibt es keine Schatten, nur Farbe.
Oh, nicht wieder Platon. Der hat die Malerei gehasst. Das vererbt sich.

Hier, Ihr Erbe, ein Plastikbesteck. Bilder sind nur im Kopf.
Ganz gleich, wodurch sie angeregt werden.
Sieben Milliarden Bilderproduzierköpfe im Dreisekunden­takt,
Tiere nicht mitgerechnet. Sie haben ja Recht.
Keine Blumen, bitte. Ich hasse Blumen (Rissa).
 

Das Morgengrauen beginnt mit News und einer Erscheinung im Doppelfenster.
Eva lässt den Pfirsich liegen, und niemand kümmert sich um das zertretene Obst.
Na toll, dann kann ich ja anfangen zu malen.

Chardins Le panier de fraises des bois - wie sieht der denn aus?

Malschwamm, Friedhofsmüll, Sphärenmusik und Luftpolsterfo­lie -
so sieht das Leben eines Malers aus.

Der Engel ist ein Seifenengel. Das Licht am Ende des Tunnels ist der Anfang des Tunnels. Her­einspaziert. Wie gesagt, die Bilder sind im Kopf. Frag mich nicht wie, der Schwindel auch.

Aber dann auf der Leinwand bildet sich etwas (nicht das im Kopf - das ist gar nicht so deutlich, tags nicht, nachts schon, aber da schläft man ja) das den Horizont weit macht - wie Musik, anachoretisch, unkommunikativ, aber weit.

Ganz kleine Bilder, ganz einfach: Farbton gemischt, Pinsel­strich gesetzt, geprüft, konzentriert, ganz still, nur Farbe, aber weit: Der Verstand geht spazieren. 
Eiger. Der große Berg und das Fenster nach innen. Kleine Formate, einfach, ohne dieses 
So-muss-etwas-aussehen-wenn-es-überhaupt- wahrgenommen-werden-soll, 
experimentell, keine Überwältigungsästhetik, keine Materialästhetik, keine Bauchgeschichten, aber Malerei, nur Ma­lerei.
Gesehenes, aber Malerei. Die Biographie eines Jahres. 
 

Ein Bild folgt dem anderen. Dann hakt es.
Die Wächter der Farbe und der Form sind eingenickt. 

Mischreste, totgemalte Farben auf den Palettentellern ver­selbständigen sich,
wachsen zu Türmen, strecken sich zu Dreimetergräbern, 
oszillieren zwischen Kriegsmatsch und moderner Befindlichkeit.

 

 

Farb­schlamm, ohne den es kein Bild gegeben hätte, keine Nuance, kein Genau-den-Ton,
der es nicht zum Bild geschafft hat, dem es nicht vergönnt war, in einer Form zu brillieren,
einem größeren Zusammenhang zu dienen, dazuzugehören.

Die­ser übriggebliebene, erstarrte Farbmüll veranlasst Bilder, die ganz
große Themen berühren und doch Farbe bleiben. Zwar auch erstarrte Farbe, 
der aber Dauer durch Form gegeben wurde.

Die Farbreste verschwinden - wie der Maler, wie das Bild Party is over.

Bernd Finkeldei   März 2011

Fiktiver Gang durch die Ausstellung Schattengold

Dem Löwen fehlte ein Bein Springbock, Gnu, Strauß,
Elefant, Flusspferd, Nashorn, Gorilla, Löwe, Giraffe, Hyäne -
alle nicht da, nicht einmal als Schatten. Nur Leerstellen
in einem sauberen Quadrat aus purem, massivem Gold
vier rechte Winkel fünf mal fünf Meter einen Zentimeter dick.
Ein englisches Schiff, den zwanzigsten Längengrad hochsegelnd,
vor -sagen wir - einhundertzwanzig Jahren hätte wahrscheinlich
einige hundert Kilo seiner Ladung für diese Skulptur hergeben müssen.
Wie im wirklichen Leben ist das Gold die Folie für das, 
was uns am Herzen liegt, hier aber nicht vorhanden ist,
ähnlich den Hohlformen der verdampften Leiber in Pompeji
nach dem Vesuvausbruch. Natürlich ist das hier kein echtes Gold.
Könnte man sich aber vorstellen. Auch gibt es all diese Tiere noch.

Plötzliche Richtungsänderungen Löst man den Blick vom
Goldgrund, schaut man auf Schwärme in afrikanischen Himmeln.
Zugvögel vielleicht, die Jahr für Jahr ‐ wenn auch immer
mehr von ihnen in unseren Städten zurück bleiben ‐ die
Bewegung wiederholen, die Menschen vor kurzem ‐
kosmologisches Zeitmaß genommen ‐zum ersten Mal
gemacht haben: Den Auszug aus Afrika.
Schwärme, die sich wie schwarze Tinte in strudelndem
Wasser verdrehen, aus Einzelwesen bestehend,
die sich an Nachbarn orientieren, die sich an ihren
Nachbarn orientieren, eine lebende Wolke. Und doch nur
Punkte in einem Bild, unbeweglich, die Paradoxie unserer
Zeitwahrnehmung vor Augen führend.

Tod Das Sekunden aufblitzende Foto von übereinandergelegten
Opfern und Tätern eines Terroranschlages, mit T-Shirts
und Jeans bekleidet, ohne sichtbare Verletzungen,
gab die Idee zu diesem Bild. Schwere im unteren Bereich.
Das dunkle Blau diffundiert. Wird oben ganz hell. Die blaue Ferne
ist in unserer Kultur positiv besetzt. Hier nicht.
Ein Floß der Medusa aus Beton.
Der ferne Hafen ist ein nächtlicher Airport.

Symmetrie I Die Form des dunklen Wasserspiegels der gefluteten
Diamantenmine von Kimberley (The Big Hole) kehrt als weiße Scheibe
oben im Bild wieder. Kein Duktus, keine Modulation, kein Glanz -Leere.

Symmetrie II Um die Ecke brennt die Savanne. Ein Flächenbrand
auf dem Fernsehschirm mit eingebetteten Screens eines
brennenden Hauses, eines Sonnenunterganges und eines Mordes.
Zwei Bäumchen beugen sich im Feuersturm, symmetrisch schön,
ihre Kronen verlierend. Nichts stimmt davon.
Nichts stürmt, nichts verbrennt, nichts geht unter, nichts pixelt:
In Farbe und Form unterscheidbare Pinselstriche stehen nebeneinander,
können minutenlang betrachtet werden.
Kein Flammenfetzen wird vom nächsten gejagt.
Das Wunder der Malerei: Keine vierundzwanzig Bilder pro Minute.
Keine Tempovorgaben. Ein Bild für vierundzwanzig Minuten.
Beliebig lange Blickwiederholungen. Kontemplation.

Stürzender Christus Auch nur Farbflächen, scharfkantig oder
weich vermalt, wenn hinter einer blauen Glasscheibe ein Springer
sein Misstrauen, das dehnbare Seil könnte ihn nicht rechtzeitig
abfangen, beiseite geschoben hat und nun kopfüber in
die Bildmitte stürzt. Ihm ist nicht bewusst, dass er von einer
starken, dunkelblauen Fläche gehalten wird. Ein vorbeiziehender
Elefant ignoriert ihn. Ein fataler Fehler.

Fälschung Ein indigener Südamerikaner, ein Asiate, ein Afrikaner,
ein Weißer, noch ein Weißer, ein großer Afrikaner, eine
Blondine, eine Tahitierin, ein australischer Ureinwohner, zwei
weitere Asiaten - soweit zu sehen, alle in weißen Hemden mit
Krawatten und grauen Anzügen - stehen in einem Philodendrenurwald.
Weiße, unregelmäßige Vier-und Fünfecke zwingen
den Palmgartendschungel in kantige, geometrische Flächen.

Asche Wieder Blau, dieses Mal spannt es sich sehnsüchtig machend
über eine klare Flusslandschaft. Das Gewitter ist vorbei.
Das Aschestückchen eines ehemals weißen Papierfetzens
verharrt abseits der Bildmitte. Schutzlos in seiner delikaten
Struktur dem Betrachterblick dargeboten. Es wird nichts Vegetabiles
als Dünger beim Weiterleben unterstützen.
Katafalk Ein durch Riemen gehaltenes Gerüst aus nordischer
Birke trägt einen leeren Goldsarg. Sein Aussehen lässt vermuten,
dass eher siebzig Stufen zu ihm hinunter führen sollten.
Statt dessen ruht er in unbestimmter Umgebung zwischen
Wasser und Luft in klarer Schönheit als Symbol des Endes aller
Gegensätze.

Laburnum, rot Wir sehen, was wir kennen. Das visuelle Ausgangsmaterial
bleibt uns verschlossen. Die Gehirne konstruieren die Bilder
aus Erinnertem, Gelerntem und den Impulsen, die der Sehnerv bringt,
und Gefühl mischt mit. Gott sei Dank,
tun sie das bei den Meisten in ähnlicher Weise.
Spielt das auf dem Bild nicht vorhandene Gelb eine Rolle, wenn wir einen
roten Goldregen sehen? Was sieht man, wenn man weiß, dass
die schwarzen Scheiben im Bild das Sternbild Skorpion darstellen?
Giftiger Goldlack. Giftiger Skorpion.

Acryl auf Leinwand Palmen, Sonne, blaues Meer und eine
leichte Brise nicht, vielmehr unter den schwarzen Fetzen eines
vergangenen Brandes aufs Wasser schauen, wo irisierende Öllachen schaukeln.

Idyll Flieder, Apfelblüten, Urwaldpflanzen, ein kleines Kind und
Sandhäufchen wie Stonehenge angeordnet, keine Skorpione, keine Schlangen.
Doch keine Paradiesdarstellung? Vielleicht eine nach der Vertreibung, nach dem Roden?
Aber dieses un­glaubliche Blau!

Qualm Eine Staffelei an einem breiten, gelben, sedimenthaIti­gen Strom -
wie altmodisch. Die Staffelei trägt schon die noch unbemalte Leinwand des Bildes hier.
Auf dem Fluss ist nichts los, nur Lichter Ocker und Siena Natur.
Abstrakt ist doch schö­ner (K. O. Götz).

Neun Sonnen Sind das wirklich Untergänge? Zu wenig Rot. Zu kühl.
Seitdem der Schöne die Zügel des Sonnenwagens, wenn auch widerwillig,
dem um Anerkennung Bettelnden in die Hände gab, wissen wir,
was uns blüht: Aufgeblähter Riese, dann roter Zwerg.
Dann doch lieber Romantik, neunfach.

Laburnum, gelb Die Beleuchtung des Goldregens deutet auf hellen Tag.
Das Sternbild auf Nacht. Was macht unser Sehen daraus?
Reichen vier weiße Scheiben als Kreuz des Südens, im Durchmesser
kaum größer als die Materie beim Urknall, das neuronale Wunderwerk
hinter unserem Schädelknochen so anzuregen, dass in uns die Vorstellung
eines phantastischen, südlichen Nachthimmels entsteht,
während wir mit den Augen den besonnten Goldregen sehen?

Zufall und Notwendigkeit Heimweh nach Unversehrtheit?
Die in weiten Schwüngen zerschnittene Vorzeichnung wird auf die
weiße Leinwand übertragen, mit Zwischenräumen, ohne Verlust.
Aber es entsteht etwas Neues: Das Bild ist komplett, das Motiv auch.
Die Beziehungen, die Gewichte, die Eindeu­tigkeit bei Vorder-Hintergrund,
die Abhängigkeiten haben sich verändert.
Orchideen halten nicht das, was sie versprechen.

Elemente Dynamik kann man durch Diagonalen erreichen.
Hier sind viele Diagonalen vorhanden, aber sie funktionieren anders:
kaum Dynamik. Ein Wal, vom eigenen Orientierungs­organ
in die Irre geleitet, vom eigenen Gewicht um den le­benserhaltenden
Sauerstoff gebracht, wird von einem Dra­chenflieger beäugt.
Der Schwimmer schwimmt nicht - der Nichtflieger überfliegt ihn.
Kein Ritt in den Sonnenuntergang.

Querformat Schwarz-gelbe Muster setzt die Natur als War­nung ein.
Gelb und Schwarz ja, aber kein Muster hier, keine Wiederholungen,
Pinselstrich neben Pinselstrich, dünn und aufmerksam.
Der zerstörende Akt des Zerschneidens der Vor­lage liegt zurück.
Duktusfreies Schwarz, reinstes Kadmiumgelb Hell.

Keine Drohgebärden, keine Aggression, kein Ansprin­gen,
eher das Gehirn zerstörende Melancholie, später.
Das Vor-und Zurücktreten ist keine Flucht. Es dient der besse­ren
Abschätzung der Proportionen und Gewichtungen.
Ähnli­ches zieht sich zusammen. Das Ganze beginnt zu schwingen,
im besten Falle.

Wasserschlangenkopf Ein schwarzer Keil zertrennt das Gelb.
Als würde ein Reißverschluss aufgezogen, biegt sich der
Gold­regen der Länge nach auseinander. Weiße, runde Flächen als
ein halbes Sternbild oben. Muss man das wissen? Nein, ein Bild
ist ein ruhiges Fest für Auge und Verstand. Was da sein soll ist da.

Brüder Die Menschwerdung begann in Afrika.
Wir tragen noch Spuren des Anfangs in uns.
Vier Köpfe -verschnürt, verdeckt, kriminell, neidgelb -
an den Genen abzulesen? Sieht so die Freiheit aus?

Mit dem Finger gezeigt Luft und Wasser, Vogelschwärme
und der Kongo, Kindheitsmythos. Schwarz-weiße Intarsien im Fluss.
Abstraktion und Figuration. Farbe und Papier. Bild und Betrachter.
Die Welt wächst zusammen, ja, ja. Die Frag­mentierung
aber von praktisch allem nimmt zu. Wir können
nicht nur Amboss, Pankreas und Meniskus zuordnen, sondern
lernen gerade Mandelkern und Corpus Callosum in unserem
Bild vom eigenen Körper zu verorten. Ganzheitlichkeit ist ein Wahn.
Der Traum aber bleibt. Und die Malerei? Dem Maler ist
sie Mittel, ein Koordinatensystem seiner Existenz zu schaffen.
Dem Betrachter? Durch die Flächig-und Künstlichkeit wird das
Bild der Natur entzogen. Noch so illusionistisch, es bleibt ein
Gebilde aus Farbflächen. Da steckt das Geistige. Da liegt der
Mehrwert. Wie ein Vogelschwarm vor blassviolettem Himmel
zieht eine Erregungswolke durch's Gehirn.

Geh nicht ins Wasser Ein Betonlandungssteg in Form eines
Fliegers, der nicht fliegen kann. Grau-schwarze Farbpünktchen
warten in Gruppen. Grünes Meer. Chromoxydgrün ist die Hoff­nung.

Bernd Finkeldei, Juli 2008